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Beitrag vom 02.01.2012
Naima Husseini
Lisa Scheibner
Klanggewebe wie urbane Topografien, voller unterschiedlicher Gewächse die sich den Raum erobern. Die Hamburgerin samplet ihre Popmelodien mit akustischen Elementen und maschinell anmutenden Sounds.
Naima Husseini war 2009 kurz davor, mit ihrer Band "Silvester" groß raus zu kommen: einen Plattenvertrag von Universal-Music in der Tasche hätten sie ein frischer Act des neuen deutschen Pop werden sollen. Doch ihre erste Single "Du willst mehr" schaffte es nur bis auf Platz 84 der deutschen Charts. Statt sich nun von Universal als Solo-Sternchen aufbauen zu lassen, beschloss Husseini, sich zurückzuziehen und ihren eigenen musikalischen Stil weiterzuentwickeln. Auch Bandkollegin Valeska Steiner machte sich selbständig und gründete das Duo "Boy".
Spiegel-online gegenüber erklärte Husseini im Oktober 2011 den abrupten Abbruch der ersten Karriere: "Heute weiß ich, dass ich zu viel Eigenes mitbringe, um mich in so einen Vermarktungsrahmen zu stellen." Nun ist sie mit ihrem Debütalbum als Solokünstlerin zurück, "Naima Husseini" steht drauf und ist auch drin, der Umweg hat sich also gelohnt.
Das warme, tiefe Timbre und die norddeutsch-nachlässige Artikulation, mit der Husseini ihre deutschen Texte singt, verleihen ihrer Stimme eine charakteristische Farbe. Klanglandschaften weben sich um die vocals, industriell anmutende Sounds wie bei "Oben ist Unten" verschlingen sich mit akustischen Instrumenten, Gitarre oder Klavier, die sie selbst spielt. Bei ihren Live-Auftritten samplet Husseini sich und ihre Instrumente mit einer Loop-Station. Mit Verfremdungen wie dieser entgeht sie unter anderem der Falle, im Indie-Folk oder -Pop bloß als gefühlvolles Mädchen mit Gitarre eingeordnet zu werden. Ihre Songs klingen wie eine Sammlung aus Geräuschen, Stimmen und Atmosphären, die verhindern, dass aus den eingängigen Melodien allzu griffiger Pop wird.
Emotionale Analysen vor industrieller Kulisse
In "Ohne Dich" verhandelt die in Berlin lebende Naima Husseini, wie das Leben auch nach einer Trennung erstaunlich ähnlich weitergehen kann: "Ich fahr` an den Hafen/ das geht auch ohne Dich. (...) Ich bin mir sicher/ dass du was verpasst." Ja, es geht um Gefühle. Aber die Texte sind nie sentimental, sie sind konzentriert. Ein Lyrisches Ich das unabhängig wirkt, analysiert seine Situation, seine Emotionen, wie in "Wiedersehen": "Ich denke nicht mehr nach/ das hab` ich schon das ganze Jahr gemacht/ Und wenn ich ehrlich bin/ hat es mich nicht besonders weit gebracht. (...) Ich kann dich besser sehn/ wenn wir weit auseinander stehn."
Mit "Du willst mehr" und "Ein Schritt vor" sind auf dem Album neben neuen Songs auch Titel aus dem alten Repertoire dabei. Die Melodien bleiben im Ohr, ähneln sich aber auch auf gewisse Weise. Die Variation scheint bei Husseini eher ein Kontinuum zu sein, bei dem sich Eines aus dem Anderen entwickelt, der Ohrwurm ist nicht die Hauptattraktion der Songs, die Stimme steht hierarchisch beinahe mit den anderen Klängen auf einer Ebene.
Der Musik ist anzuhören, dass Naima Husseini in verschiedenen künstlerischen Medien unterwegs ist. Sie ist als Kind einer MusikerInnenfamilie aufgewachsen und hat sich selbst Klavier, Schlagzeug und Gitarre beigebracht. Während sie freie Kunst an der Hochschule für bildende Künste Hamburg studierte, experimentierte sie mit Collagen aus Sound und Text, auf ihrem Plattencover erscheint sie in einer ihrer eigenen Installationen. Und wie diese kommen einer eben auch die Songs vor, in denen unterschiedliche Fundstücke natürlicher und maschinell erzeugter Art in einem Raum zusammengefügt werden und ein neues Bild ergeben.
Husseinis Pop kommt an: sie ging bereits mit Kate Nash und The Ting Tings auf Tour und hat ihr neues Album im vergangenen Herbst mit Auftritten in ganz Deutschland vorgestellt.
AVIVA-Tipp: Naima Husseini beweist Eigenartigkeit im besten Sinne des Wortes, ihre Klanginstallationen schlingen sich um ohrwurmartige Melodien, die verwischte norddeutsche Kühle der besungenen Emotionen verleiht diesen analytische Mehrschichtigkeit. Mit ihrem ersten Soloalbum, das nach einigen Umwegen entstanden ist, legt Husseini offen, was sie persönlich interessiert: Pop als Medium, um Verflechtungen komplexer Gefühle mit künstlerischen und musikalischen Fragmenten verständlich zu kommunizieren.
Naima Husseini
Label: Universal Domestic
VÖ: 07.10.2011
Weitere Infos:
Website von Naima Husseini: www.naimahusseini.de
Naima Husseini auf Myspace
Naima Husseini live auf Youtube (2011)
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Interview mit Valeska Steiner, ehemalige Keyboarderin von "Silvester", über ihr neues Duo "Boy" (2010)
Kate Nash im Missy-Magazin (2010)
Florence and the Machine
The Ting Tings – We started nothing
(Quelle: Spiegel-online)